Balu hat den Bogen raus

Wundersame Vermehrung: Die „projects4cellos“, entstanden aus den „Vier Evangcellisten“, sitzen in Selb auch schon mal zehn- bis elfköpfig auf der Bühne des Rosenthal-Theaters. Beim „Release-Konzert“ für die neue Einspielung der Truppe macht sich die versprochene CD „Verismo“ hingegen rar.

 
Aus vier mach acht (von links): die "projects4cellos" mit den "Evangcellisten" und Freunden. (Fotos: thu)


Von Michael Thumser

Selb, 6. Oktober – Zu viert haben sie fünfzehn Jahre auf dem Buckel, immerhin. Im Oktober 2008 schlossen sich die Weimarer Hochschulabsolventen Markus Jung und Mathias Beyer, Lukas Dihle und Hanno Riehmann als „Die vier Evangcellisten“ zusammen, unterm gleichsam biblischen Ensemblenamen, weil jeder von ihnen mehr oder weniger so heißt wie einer der neutestamentlichen Evangelisten. Inzwischen sind sie auch als „projects4cellos“ unterwegs – wobei die 4 in der Mitte sich zwar einerseits gleichfalls auf die Besetzungsstärke des Ursprungsquartetts bezieht  (four), andererseits aber, wie so oft, als das englische for gelesen werden kann: Projekte für Cellos bringen die Herren seit anderthalb Jahrzehnten auf den Weg, wobei sie sich gelegentlich gern mit anderen Musikern verbinden und sich dann in puncto Ensemblegröße kaum Zwänge auferlegen.

Markus Jung: "So viele waren wir noch nie."
 

     Fünfzehn Jahre: Als offizieller Zeitraum für ein Jubiläum gilt die Frist zwar nicht. Aber die „Evangcellisten“ nutzen trotzdem die Gelegenheit zum Feiern: Die Spielzeiteröffnung in Selb bestritten sie mit einem „Release-Konzert“ für ihre neue CD „Verismo“, und nicht nur ein an gepflegt-unalltäglicher Kammermusik interessiertes Publikum war ins Rosenthal-Theater eingeladen (wo es lebhaft applaudierte), sondern ebenso eine nicht geringe Schar von Mitstreitern. Fünf Kollegen bringen die vier mit, die einzuspringen pflegen, wenn unter ihnen am Mann ist: Nassib Ahmadieh und Sebastian Chong, Alexey Shestiperov von den Hofer Symphonikern, Alexandre Castro-Balbi und Florian Bischof; dazu „als Gast“ Ariel Barnes. Mithin dürfen sich die Akteure den Luxus leisten, auch schon mal zu zehnt in langer, sacht geschwungener Reihe auf der Bühne Platz zu nehmen. Naturgemäß erinnert das dann an die berühmten „12 Cellisten der Berliner Philharmoniker“. Bei denen wirken allerdings zwei Damen mit; anders die „projects4cellos“: Standhaft eingeschlechtlich figurieren sie als reine Männerrunde.

 

Vom Falsett zum Kontrabass

Ansonsten aber folgen sie wichtigen Tugenden des vorbildhaften metropolitanen Spitzenensembles. Monoton tenoralen Gleichklang ihrer Instrumente vermeiden sie, indem sie ihr Registerspektrum von Falsett-nahen Höhen bis in fast Kontrabass-tiefe Untergründe ausbreiten. Fließend wechseln sie einander in der Stimmführung ab. Vom satt-sonoren Ton, der sich geübtem Bogenstrich verdankt, wechseln sie postwendend zu schnippisch-plauderhaften Pizzicato-Piècen (von Markus Jungs Vater Fredo, Johann Strauß Sohn und, in der Zugabe, Udo Hartlmaier). Und ihr Repertoire – das neben einigen Originalkompositionen vornehmlich aus Arrangements von eigener und fremder Hand besteht – reicht von Swing und Tango über Grandseigneur-haft schmachtende Operettenmelodien und süffiges Opernarien-Sentiment (in Selb von Giacomo Puccini) bis zur Bearbeitung altehrwürdigen Liedguts: Mit Franz Schuberts „An die Musik“ statten sie gleich zu Anfang der „holden [Ton-]Kunst“ ihre Huldigung ab.

     „Wahnsinnig gut“, sagt Markus Jung als Moderator, eigne sich das Cello „für Schicksalsschläge“. Gern glaubt mans, wenn acht Streicher das „Requiem“ des Böhmen David Popper anstimmen: schmerzlich schön, fast leidverliebt. Umso temperamentvoller geraten ihnen zwei Sätze aus Heitor Villa-Lobos’ erster „Bachiana Brasileira“: rhythmisch ungeduldig das „Preludio“, fiebernd feurig, phasenweise humoristisch; doch die folgende „Introdução“ klagt wiederum, teils tragisch, teils mimosenhaft.

Lässige Jazz-Partner: Saxofonist Christopher von Mammen und Harry Tröger am Schlagzeug.

 

     Für Richard Gallianos „Opale Concerto“ tritt der Hofer Ausnahme-Akkordeonist Harald Oeler ins Zentrum der Streicher: Heftig, geradezu unwirsch rückt er den aufregenden dritten Satz des Werks nah an das Idiom Astor Piazzollas heran, durch resolute Resignation und mondäne Melancholie. Mit souveräner Saxofon-Coolness postiert sich Christopher von Mammen an der Rampe und verwandelt, gemeinsam mit dem nicht minder lässig-überlegenen Harry Tröger am Schlagzeug, Paul Desmonds Jazz-Standard „Take Five“ improvisierend zu einem weiteren top act des Programms. Zehn Cellisten und der Drummer (Markus Jung: „So viele waren wir noch nie“) „probieren“ es schließlich „mit Gemütlichkeit“, nicht freilich wie im Disney-„Dschungelbuch“ Balu der Bär bedächtig und in Seelenruhe, sondern wie es sich gehört: frech, munter und agil.

     Um über die verheißene CD „Verismo“ die „Wahrheit“ zu berichten: Sie trat an diesem Abend erst ziemlich spät und darum für das Gros der Besucher gar nicht in Erscheinung.

 

■ Das Ensemble im Internet: hier lang.
■ Für das kommende Jahr planen die „Vier Evangcellisten“ eine weitere Ausgabe der traditionsreichen „Hofer Cellotage“.
- Michael Thumser für Hof, Hochfranken-Feuilleton, Oktober 2023 (online)

 

Hier geht es zum HOCHFRANKEN-FEUILLETON: https://www.hochfranken-feuilleton.de

 

 

 

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